VON
ANNETTE KOLB
MIT ELF ZEICHNUNGEN VON
RUDOLF GROSSMANN
1925
S. FISCHER · VERLAG · BERLIN
Erste und zweite Auflage
Alle Rechte vorbehalten
Copyright 1925 by S. Fischer Verlag A.-G., Berlin
SPITZBÖGEN
Es gibt Leute, die mit Recht oder Unrecht imRufe stehen, daß sie Unglück bringen. So warOffenbach als „Brandstifter“ berühmt, und seinVerweilen in einem Hause galt als Signal für eineFeuersbrunst.
Daß aber auch Städte sich dem einzelnen feindseligerweisen können, dürften die wenigsten nocherfahren oder bemerkt haben. Nun, mein Jettadorewar Florenz. In was für Klemmen ich dortgeriet, was für Schlingen dort jedesmal für michbereit lagen, spottet jeglicher Erfindung. Achund überhaupt – Italien! – Wer vermöchte eseinesteils nicht zu lieben? – Aber die Ebene vonMailand, aber die seelische Kälte der italienischenMietswohnungen, ihre tiefe Ungemütlichkeit undrudimentäre Öde, aber gewisse Häuser der Armen,die uns mit ihren hohläugigen Fenstern wie Pestkrankeansehen!
Und dann schneiden so manche italienische Landschaftenins Herz. Fiesole zum Beispiel, mit seinemverklärten Ausblick – so holdselig, aber so abgeschieden,so vorbei! – Beklommenen Herzensblickte ich eines Morgens auf diese laue, in ihrerdurchsichtigen Bläue zärtlich berückende Natur,und stärker noch empfand ich unter dem wolkenlosenHimmel die stille Schärfe der Zypressen.Gewiß, es ist ein schönes Land! aber schön istauch der Anblick des unter der Fülle von Blumenfast verschwindenden Sarges, daß kaum ein Beschlag,kaum eine Kante desselben sichtbar wird. –So trauerte dort mein Auge und sehnte sich vondiesem Bilde fort. Und nur mehr die Straßehinabsehend, fing ich plötzlich an zu laufen; – undich lief, als gälte es dieser Gegend wie einemGewölbe zu entfliehen, und nicht zu rasten, alsbis ich wieder zu unseren Flüssen und Brücken,unseren lebendigen Wäldern gelangte. Denn LeopardisSeele war mir auf jenem Hügel aufgegangen.Ja, solche Klagen mußten sich ihr entringen, einso herbes Echo mußte dies blühende, von Glanzund Duft umwobene Land erwecken, das in seinerstillen Morbidezza zwischen dem Hades und derErde eingeschoben scheint. Die Einflüsse der Landschaftsind es ja sicherlich, mehr noch als die desKlimas, die gleichsam spiegelnd die Linien unsererSinnesart und unseres geistigen Umkreises ziehen.So verhält sich Leopardis Pessimismus zu demseines Zeitgenossen Schopenhauer wie der untröstlicheZypressenhain zum tiefen Tannenwald, ausdessen Düsterkeit wir Stärkung noch und Hoffnungschöpfen.
Ich bitte indes nicht zu vergessen, daß ich denBerg hinunter laufe. So mag es hingehen, daßich so weit von meinem Thema abgekommen bin.Denn ich w