Produced by Charles Franks and the DP Team
Kriegsbüchlein
für unsere Kinder
Von
Agnes Sapper
1914
Meinen lieben Enkeln
Theo
Otto
Eduard
gewidmet im Kriegsjahr 1914
Inhaltsverzeichnis
Heimkehr aus Österreich
Der 4. August
Das Pfarrhaus in Ostpreußen
Die Konservenbüchsen
Zu welcher Fahne?
Der kleine Franzos
In Gefangenschaft
Der junge Professor
Allerlei Kriegsbilder
Die Heimreise aus Österreich
„Ist das ein köstlicher Friede hier oben! Kinder, wie haben wir's gut,wie wollen wir die vier Wochen genießen!“ Frau Lißmann stand auf derAltane eines kleinen Bauernhauses in einem weltentlegenenösterreichischen Dörfchen. Sie war am Vorabend mit ihren zwei jüngstenKindern hierher in die Sommerfrische gekommen. Die Kinder—ein Knabe vonzehn und ein Mädchen von zwölf Jahren sahen auch aus, als ob sie eineErfrischung brauchten. Beide hatten im Frühjahr Scharlachfieber gehabtund sich schwer davon erholt; auch die Mutter war angegriffen durch diePflege. So hatte Herr Lißmann, der in München Lehrer an einerKunstschule war, für diese drei Glieder seiner Familie einen stillenSommeraufenthalt in den Tiroler Bergen ausgewählt. Er selbst hatte EndeJuli eine Studienreise nach Paris angetreten. Sein ältester Sohn Ludwigwar in Passau, wo er sein Einjährigenjahr abdiente. Es blieb nochPhilipp, der siebzehnjährige, der Gymnasiast, zu versorgen. Der wärewohl gerne mit Mutter und Geschwistern ins Gebirge gereist; allein erwar ein etwas leichtsinniger Schüler und hatte im Schuljahr so weniggearbeitet, daß er in den Ferien lernen mußte. So übergaben ihn dieEltern einem Lehrer, der alljährlich eine Anzahl Ferienschüler aufnahm,und Philipp mußte sich darein ergeben, statt nach Tirol oder gar nachParis nach Hinterrohrbach zu reisen!
Wieviel hatten all diese Pläne zu überlegen gegeben, und welche Mühe wares gewesen, für die nach verschiedenen Richtungen Abreisenden allesNötige herbeizuschaffen und die Koffer zu packen! Und dann die großeWohnung abzuschließen und alles gut zu versorgen für die langeFerienzeit! Kein Wunder, daß Frau Lißmann jetzt, nachdem all das hinterihr lag, aufatmete und mit Wonne in die stille Landschaft blickte.
„Herrlich ist's!“
Auf diesen Ausruf der Mutter waren beide Kinder herbeigeeilt und auf die
Altane getreten. Wie schön war's, die Mutter für sich zu haben, die
Mutter, die nun Zeit und Ruhe hatte und so beglückt in die schöne
Landschaft hinausschaute.
Ja, es war herrlich; zwar regnete es die ersten Tage, und in demDörfchen wurden die Wege bodenlos; aber man war doch traulich beisammen,konnte sich recht ausruhen und erholen. Nur eins vermißten unsereSommerfrischler: Nachricht von den fernen Lieben. Man war wie von denMenschen abgeschlossen, in diesem von der Bahn weit abliegenden Örtchen,in das nur zweimal wöchentlich ein Postbote kam.
Eines Morgens brach die Sonne durch, wärmte, trocknete und vertrieb dieNebel. Die bisher verhüllten Bergspitzen hoben sich vom tiefblauenHimmel ab und lockten hinaus. So wurde denn auch für den nächsten Tagein großer Ausflug geplant, und am frühen Morgen brachen sie auf, dieMutter, Karl und Lisbeth mit Bergstöcken bewaffnet, mit Rucksäckenversehen. Ihr Ziel war der Bergpaß, von dem aus man hinübersehen konntein die Gletscher der Venedig