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Stefan Zweig
BALZAC * DICKENS
DOSTOJEWSKI
1922
IM INSEL-VERLAG ZU LEIPZIG
ROMAIN ROLLAND
als Dank
für seine unerschütterliche Freundschaft
in lichten und dunklen Jahren
[Seite 7]
Obwohl in einem Zeitraum von zehn Jahren entstanden,bindet doch kein Zufall diese drei Versucheüber Balzac, Dickens und Dostojewski zu einem Buche zusammen.Einheitliche Absicht versucht die drei großen undin meinem Sinne einzigen Romanschriftsteller des neunzehntenJahrhunderts als Typen zu zeigen, die eben durchden Kontrast ihrer Persönlichkeiten einander ergänzenund vielleicht den Begriff des epischen Weltbildners, desRomanciers, zu einer deutlichen Form erheben.
Nenne ich Balzac, Dickens und Dostojewski hier dieeinzigen großen Romanschriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts,so verkenne ich in dieser Voranstellung keineswegsdie Größe einzelner Werke Goethes, Gottfried Kellers,Stendhals, Flauberts, Tolstois, Victor Hugos und anderer,von denen mancher einzelne Roman oftmals das abgesonderteWerk insbesondere Balzacs und Dickens' weitausübertrifft. Und ich glaube, meinen innerlichen und unerschütterlichenUnterschied zwischen dem Verfasser einesRomanes und dem Romancier darum ausdrücklich feststellenzu müssen. Romanschriftsteller im letzten, im höchstenSinne ist nur das enzyklopädische Genie, der universaleKünstler, der – hier wird Breite des Werkes und Fülle derFiguren zum Argument – einen ganzen Kosmos baut, dereine eigene Welt mit eigenen Typen, eigenen Gravitationsgesetzenund einem eigenen Sternenhimmel neben die irdischestellt. Der jede Figur, jedes Geschehnis so sehr mitseinem Wesen imprägniert, daß sie nicht nur für ihn typischwerden, sondern auch für uns selbst mit jener Eindringlichkeitbildkräftig, die uns dann oft verlockt, Geschehnisseund Personen nach ihnen zu benennen, so daß wir vonMenschen im lebendigen Leben etwa sagen: eine balzacsche[Seite 8] Figur, eine Dickensgestalt, eine Dostojewskinatur.Jeder dieser Künstler bildet ein Lebensgesetz, eine Lebensauffassungdurch die Fülle seiner Gestalten so einheitlichhervor, daß es durch ihn eine neue Form der Welt wird.Und dieses innerste Gesetz, diese Charakterformation inihrer verborgenen Einheit darzustellen ist der wesentlicheVersuch meines Buches, dessen ungeschriebener Untertitellauten könnte: Psychologie des Romanciers.
Jeder dieser drei Romanschriftsteller hat seine eigeneSphäre. Balzac die Welt der Gesellschaft, Dickens die Weltder Familie, Dostojewski die Welt des Einen und des Alls.Vergl