Roman
von
Henriette Hanke
geborne Arndt.
Erster Theil.
Hannover, 1835.
Im Verlage der Hahn'schen Hofbuchhandlung.
Wir versetzen unsere Leser bei dem Anbeginn dieserGeschichte in ein weites Gemach des aufgehobenenStiftes der Cisterzienserinnen zu Sanct Capella, nahedem Städtchen Leidthal. Dieses Zimmer, viel zucolossal in seinen Verhältnissen um wohnlich zu seyn,bietet eine himmlische Aussicht dar, und zeigt nochdie Spuren klösterlicher Pracht. Seltsam vereint werdenhier die religiösen Begriffe aller Zeiten anschaulich;doch mit gemischtem Gefühl siehet man: dieGegenwart herrscht vor. An dem Plafond rollet derfeurige Wagen des Elias. Wie zu vielen tausendmalenmogten seit dieser Himmelfahrt die Sonnenrosseihren Lauf vollendet haben! aber jene Flammensind erloschen, und der Prophet erscheint nur noch alsein grauer Schattenriß seiner Zeit. Scenen des römischenCultus geben den leeren Wänden ein sinnvollesInteresse, und über erblaßten Martern der eifrigstenBekenner ihres Glaubens hängt Doctor MartinLuthers Bildniß gloriös in einem Rahmen vonechter Bronze. Die erhabene Arbeit über dem Kamin von schwarzem Marmor versinnlicht ein Autodafé,und die darunter lodernde Glut, welche dieJahreszeit und der Raum des Zimmers erfordert,dient dazu, dies Relief zu beleuchten, mit einemSchauer für die Phantasie, der fast die Wohlthat derempfundenen Wärme vernichtet. Die Möbeln sindtheils veraltet und doch pomphaft, theils von neuerBrauchbarkeit und Simplicität. Das hochlehnige Canapee,welches gradauf strebend und in der Mittealtarförmig zugespitzt, sich gegen die Wellenlinien einermodernen Bergère etwa verhält, wie die feierlicheAnständigkeit der Etiquette zu der nachlässigen Ruheder Schönheit – nimmt sich in dem überladenenZierrath geflügelter Kinderköpfe sogar kirchlich aus.Ueber den Häuptern der Cherubim prangt der ErzengelMichael in goldnen Waffen, und der gerisseneSammet auf dem Sitze dieser kleinen Engelsburg erinnertmit leiser Beziehung in der Farbe verblühterViolen an den Purpur der Eminenz. – Der venetianischeSpiegel erreicht seine ungemeine Breite undHöhe durch eine Einfassung von Tritonen und Delphinen,welche in kunstreichen Verschlingungen umdie glänzende Fläche spielen, worin mancher geistlicheVollmond aufgegangen war. – Oben thronen dieMeergötter ersten Ranges, und im Frontispice – sozu sagen – steigt Anadyomene aus der klaren Masse an den silbernen Bord. Das Auge des Reformatorsgrade auf diesen Punkt gerichtet, scheint finster andem heidnischen Unwesen zu haften, indeß ein kaummerklicher Zug frommer Ironie den Ernst des Mundesmildert, der wohl stärkere Pfeiler erschütterte alsden, der die reizende Gestalt der Liebe in den Mauernder Entsagung trägt. Die Morgensonne des eilftenNovembers ging eben auf, und bestrahlte mit blendendemLicht die Abtei, welche ihren majestätischenSchatten über die öden Felder ausbreitete. Der Reifder kalten Nacht schimmerte wie Candis an den falbenResten der Weide, und die herbe Miene des heiligenBernhard von Clairvaux, dessen Statue am