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Franz Werfel
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Eine Novelle
Kurt Wolff Verlag München
18.-22. Tausend / Herbst 1922
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig
Copyright 1920 by Kurt Wolff Verlag in München und Leipzig
Wie habe ich immer die Knaben beneidet, deren Väter in den Portierlogenoder auf den Türbänken gelassen und freundlich an Sonntagnachmittagenihre Pfeife rauchten, und wie erst die Buben in den Bürgerzimmern, woder Hausherr behaglich gerötet, in Hemdsärmeln, die Virginier im Mundeund ein halbgeleertes Bierglas vor sich, an dem weißen Tisch saß.Ich will von der Erschütterung schweigen, die ich einmal, noch alsganz kleiner Kadettenschüler empfand, als ich an dem offenen Fenstereiner Parterrewohnung vorbeiging und dahinter einen älteren Mann amKlavier sah, der aus einem aufgeschlagenen Notenbuch die Arie desCherubim: „Neue Freuden, neue Schmerzen“ spielte, die sein Sohn, einwunderschöner, elfjähriger Junge, mit der reinen heiligen Stimme desKirchensopranisten sang. — Bitterlicher als damals habe ich nie mehrgeweint, denn mein Weg führte aus der Kaserne, wo ich allsonntäglichmeinem Vater über die Ergebnisse der Woche Rechenschaft ablegen mußte,in die Kadettenanstalt zurück.
Ja, mein Vater rauchte Zigaretten und spielte nicht Klavier. Er rauchteZigaretten und zwar solche, die ihm meine Mutter, seine verschüchterte,harte Dienerin traurigen Angedenkens, allabendlich bis in die Nachthinein mit der Maschine stopfte; denn sein Tagesbedarf war groß. Mitnobel z