Ein Nachlaß
von
Adam Oehlenschläger.
Deutsche Originalausgabe.
Erster Band.
Leipzig
Verlag von Carl B. Lorck.
1850.
Als ich das erste Mal mein Leben niederschrieb, geschahes in Folge einer Aufforderung des Buchhändlers Max inBreslau, des Verlegers meiner deutschen Schriften. Ichmußte mich beeilen; und obgleich dies natürlich eine genaueAufzeichnung vieler characteristischen Züge unmöglich machte;wie es mich auch zwingen mußte Vieles zu übergehen,das theils vergessen wurde, theils nicht ausgeführt werdenkonnte, — so dachte ich doch: Etwas ist besser als Nichts.Ich erinnerte mich so vieler Verfasser, die Nichts über ihreErlebnisse hinterlassen hatten, weil sie es während ihresLebens von einem Tage zum andern aufschoben. Damitdies nun nicht mit mir geschehen solle (theils wußte ich,daß Viele meine Biographie wünschten, theils fühlte ichmich dazu durch den dem Menschen eingegebenen Selbsterhaltungstriebgedrängt), so schrieb ich sie rasch nieder undübersetzte sie später in das Dänische. Sie ist mit vielerAufmerksamkeit und Theilnahme gelesen worden. Aber wennich diese Biographie jetzt lese, so finde ich sie so fragmentarischund unvollständig, daß sie mich selbst auf keine Weisezufrieden stellen kann. Oft ist Das, was dort steht, nurdie Ueberschrift zu Kapiteln, die nicht geschrieben sind. Da[2]nun das philosophische Gesetz: „Kenne Dich selbst!“ nichtanders befolgt werden kann, als indem man sich selbst rechtgenau betrachtet, und sich in der Reihe aller seiner Handlungen,Meinungen, Gefühle und Verhältnisse verfolgt; —so ist ja eine solche Aufzeichnung eine Pflicht für Den,welcher sie zu geben vermag, und sie zu einem Nutzen undVergnügen für Andere machen kann. Ich bin selbst eingroßer Liebhaber von Biographien, wenn sie gut geschriebensind; das heißt: wenn der Verfasser Das, was er erlebte,mit Geist und Herz aufgefaßt hat, und Phantasie genugbesitzt, um all' die kleinen Züge darzustellen, die an und fürsich unbedeutend erscheinen, aber zusammen genommen dieLinien und das Colorit hervorbringen, welche eine bestimmtePhysiognomie darstellen und den beachtenswerthen Menschenvon der einförmigen Menge unterscheiden.
Aber während wir nun also mit Lust und Offenherzigkeitans Werk gehen, begegnen wir auf dieser Rückreise des Lebens,ebenso wie auf der Hinreise, manche Klippen, dieumschifft werden müssen, und Berge, die nicht überstiegenwerden können, sondern die man umgehen muß.
Das Zartgefühl, die Bescheidenheit, die Schonunggebieten uns oft, Verhältnisse mit Anderen nicht zu berühren,über deren Offenherzigkeit wir kein Verfügungsrecht haben.In solchen Augenblicken fühlt man den Nutzen des Romans,in welchem der Dichter viel Wahres, Geschehenes und Erlebtesdarstellen kann, das er sonst nicht mitzutheilen vermöchte,weil persönliche Verhältnisse oder Schonung ihndazu zwingen, die Begebenheiten in den Schleier der Erfindungeinzuhüllen. Wir sprechen hier nicht von dem höhernGewinne: die einzelnen Züge zu etwas Besserem, zu etwasZusammenhängendem und Vollkommenem zu idealisiren. Im[3