Die BrüderSchellenberg

Roman von
Bernhard Kellermann

1925
S. Fischer / Verlag / Berlin

Erste bis zwanzigste Auflage
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung
Copyright 1925 by S. Fischer Verlag A.-G., Berlin

Die Brüder Schellenberg

Erstes Buch

1

Das Tor des Krankenhauses fiel hinter Georg Weidenbachins Schloß. Er hüstelte, als er die rauhe Straßenlufteinatmete, und stülpte den Mantelkragen in die Höhe.Und schon schlug er, fast automatisch, jenen Weg ein, dener in tausend Träumen und Phantasien während seinesKrankenlagers gegangen war. Er verlor sich rasch im Gewimmeljener endlosen Straßenzüge, die quer durch dieStadt nach dem Alexanderplatz führen. Hier, am Alexanderplatz,war in einem Warenhaus seine Geliebte alsVerkäuferin tätig, Christine, „der schwarze Teufel mitden Augen eines wilden Hengstes“, wie der Zeichner Katschinskysie genannt hatte. Seine Geliebte, und wenn manwollte, seine Frau. Oder durfte er sie nicht so nennen?Nach all dem, was sich zwischen ihnen ereignet hatte?Und das war, bei Gott, nicht alltäglich!

Trotz der Knappheit seiner Barschaft, die zu äußersterSparsamkeit mahnte, hätte Georg wohl die Elektrischenehmen können, aber er empfand es als eine Art Wollust,diese Stunde zwischen der Entlassung aus dem Krankenhausund dem Wiedersehen mit Christine bis auf dieletzte Minute und Sekunde auszukosten.

Ja, nun kam er also, treibend in diesem Strom hastenderMenschen und jagender Wagen, und sie sah ihn nicht!Sie ahnte es nicht, daß er, Schritt für Schritt, immernäher kam. Würde sie zu Boden sinken? Er lächelte mitgeweiteten Augen, ein erregtes, fast verzücktes Lächeln,aber so elend hatte ihn die Krankheit gemacht, daß seinLächeln wie eine Grimasse des Schmerzes aussah. Erkeuchte leise. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, dieKnie zitterten ihm.

Das lange Krankenlager hatte ihn der Gegenwart entfremdet.Menschen, Stimmen, Gesichter, Gebärden erschienenihm fremd, als sei er nach Jahrzehnten in dieseStadt zurückgekehrt, als sei er verändert in sie zurückgekehrt.Das monatelange Rauschen des fiebernden Bluteshatte seine Sinne verfeinert, so daß er Bewegung undLärm um vielfaches verstärkt empfand. Die Straße jagte,die Straße donnerte, und fast überkam ihn eine Beklemmung.

Menschen und Gefährte schienen von einem wilden Stromfortgerissen zu werden, sie glitten und schossen vorüber,um in den Wirbel der Seitenstraßen geschleudert zu werden.Funken stoben aus den Rädern, blaues Feuer spritztedurch die nasse Luft. Omnibusse, mit Menschenleiberndicht beladen, Gesicht an Gesicht, bleich und fahl, schwanktenwie Schiffe in den Strudel der Plätze, wo sie auf undab stampften wie auf hoher See, und versanken. Der Bodenzitterte und schwankte, die Luft gellte, es knallte wievon Explosionen. Wahrhaftig, es war wie in einer Schlacht.

Aus einem dicht über den düsteren Häusern hängendenlehmfarbenen Himmel fiel gleichmäßig ein feiner Sprühregenwie durch ein dünne

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